Sarah Morris.
All Systems Fail

Sarah-Morris_Springpoint_Spiderweb_2021

All Systems Fail is the most comprehensive retrospective to date of the American artist Sarah Morris (b. 1967). The exhibition features over a hundred artworks – including paintings, drawings, film posters, sculpture and immersive film installations – which foreground thirty years of the artist’s groundbreaking work

Morris is known for her paintings of vivid geometries which form new understandings of networks, systems, economies and architectures. The films, like her paintings, explore the dynamic nature of cities in flux. Morris draws from the Modernist tradition through her abstract paintings and experimental films while examining the macro- and microstructures of the contemporary world.

Curators: Martin Waldmeier, Nina Zimmer

This exhibition was organized by the Deichtorhallen Hamburg in collaboration with the Kunstmuseen Krefeld, the Zentrum Paul Klee, and the Kunstmuseum Stuttgart.

 

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  • Sarah Morris (1967)   Adnoc [Abu Dhabi], 2016   Haushaltslack auf Leinwand   214.0 x 214.0 cm   Privatbesitz
  • Ausstellungsansichten Sarah Morris. All Systems Fail
  • Sarah Morris vor Courtship (Spiderweb), 2021
  • Ausstellungsansichten Sarah Morris. All Systems Fail
  • Sarah Morris Midtown – Viacom [Times Square Reflection], 1998
  • Ausstellungsansichten Sarah Morris. All Systems Fail
  • Sarah Morris , Film Beijing
  • Ausstellungsansichten Sarah Morris. All Systems Fail
  • Sarah Morris, Rio, 2012
  • Ausstellungsansichten Sarah Morris. All Systems Fail

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Das Spektakel des Spätkapitalismus

Sarah Morris ist mehr als «nur» erfolgreiche Malerin. Die Amerikanerin, 1967 in Grossbritannien geboren und an der U.S.-Ostküste aufgewachsen, hat seit 1998 bereits 16 Filme realisiert. Die Strahlkraft ihres Werks basiert auf einer einmaligen Verschmelzung von Film und Malerei zu einem künstlerischen Kosmos, der zeitgenössischer nicht sein könnte.

  • von Martin Waldmeier, Kurator der Ausstellung

    Film ist ein immersives Medium. Mit dem Gang ins Kino – oder in die «Black Box», wie der Projektionsraum im Museum gerne genannt wird – verstummen die Stimmen und Eindrücke des Alltags. Man gibt sich ganz dem ästhetischen Erlebnis auf der Leinwand hin. Dieses versetzt uns mit Bild und Ton, Licht und Bewegung in andere Welten. Wie mächtig dieses Erlebnis sein kann, entdeckten schon die Filmemacher der Avantgarde der 1920er-Jahre – und an dieser immersiven Wirkung setzen auch die experimentellen Filme von Sarah Morris an. Gleichzeitig enthalten die Filme Anknüpfungspunkte zum umfangreichen malerischen Werk von Morris.

    Ein Film, der fürs Verständnis von Sarah Morris’ Schaffen von zentraler Bedeutung scheint, trägt den Titel Los Angeles (2004). Wie die meisten ihrer Filme ist er einer Stadt gewidmet. Unterlegt mit einem hypnotisch-elektronischen Soundtrack des Künstlers Liam Gillick reihen sich Bilder aus der Showbusiness-Metropole aneinander, die unseren Blick auf die alltäglichen und versteckten Szenen hinter der glitzernden Hollywood-Fassade richten. Beiläufig erkennen wir Stars wie Brad Pitt oder John Travolta beim Smalltalk oder beim Proben. Doch die Kamera nimmt kaum Notiz von ihnen – sie gleitet in den Hintergrund und rückt das Blitzlichtgewitter, die Security-Männer mit Sonnenbrillen, die gestikulierenden Regisseure in Klappsesseln und die allgegenwärtigen Kameras ins Bild, die wie unheimliche Kreaturen über allem zu schweben scheinen. Das «Leben» vor und hinter der Kamera entpuppt sich als grosses Theater. Stumme Szenen aus surreal anmutenden Hollywood-Galas oder Proben wechseln sich mit Aufnahmen aus modernistischen Geschäftstürmen ab, wo das Produktionskapital verwaltet wird. Dazwischen blicken wir in die Konsumtempel, Fitness-Studios, Zahnarztkliniken und Schönheitspraxen, wo die Körper darauf getrimmt werden, fotografiert, gefilmt und so in den Verwertungskreislauf der Kulturindustrie eingespeist zu werden. Der Film Los Angeles ist eine verführende und zugleich verstörende Montage von Oberflächen und Oberflächlichkeiten, Bühnen und Infrastrukturen des Showbusiness – ein Film über die Produktion von Illusionen, und damit über die Macht des Mediums Film an sich.

    Die Filme von Sarah Morris erinnern methodisch oft an Meisterwerke der Film-Avantgarde wie Dsiga Wertows Der Mann mit der Kamera (1929) oder Walter Ruttmanns Berlin – Die Sinfonie der Grossstadt (1927). Wie Wertow und Ruttmann folgt Morris in der Regel keiner konventionellen Erzählstruktur, sondern nutzt die Technik der Montage, um scheinbar unzusammenhängende Impressionen aus dem städtischen Leben zu einer eindrücklichen Gesamtkomposition zu vereinen. Bis heute hat Morris 16 Filme produziert, wobei ein Grossteil davon Städten gewidmet ist, wie beispielsweise Capital (2000), dessen Titel sich auf Washington, D.C. bezieht, oder Chicago (2011), Rio (2012) oder Abu Dhabi (2017). Bei all diesen Filmen handelt es sich im weitesten Sinne um experimentelle Stadtportraits, in welchen der besondere Charakter, die «Psychogeografie» einer Stadt und ihre ortsspezifischen Spannungen und gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse dekodiert werden.

    Die Filme sind durchgängig hochkarätig produziert und verblüffen nicht selten durch ihre Nähe zu den Zentren der Macht. Für Capital (2000) beispielsweise erhielt Morris Zugang zum Politbetrieb in den letzten Tagen der Clinton-Administration. In Strange Magic (2014) filmte Morris im Umfeld des Luxuskonzerns Louis Vuitton Moët Hennessy in Paris, und in Beijing (2008) dokumentierte sie in eindrücklicher Art und Weise die Verschmelzung von Kapitalismus und Kontrolle, Individuum und Masse in China anlässlich der Olympischen Sommerspiele in Peking. Die subtile und zugleich äusserst eindrückliche Wirkung dieser Filme, die auf den ersten Blick einen experimentell-dokumentarischen Charakter haben, entfaltet sich im Wechselspiel von Bild und Ton: Die Spannung, die durch den pulsierenden und aufreibenden Soundtrack generiert wird, und der Verfremdungseffekt, der durch das Fehlen einer konventionellen Handlung entsteht, lässt uns die Bilder intensiver erleben und kritische Zusammenhänge erkennen, die uns sonst verborgen bleiben.

    Parallel zu ihren Filmen hat Sarah Morris ein umfangreiches malerisches Werk entwickelt, das sich zusammen mit den Filmen zu einem offenen künstlerischen «System» zusammenfügt und oft den thematischen Setzungen ihrer Filme folgt, trotzdem aber eigenen Charakter hat. In ihren Gemälden greift Morris die Bildsprache der abstrakten Kunst der Nachkriegsmoderne, des amerikanischen Minimalismus und der «Op Art» auf. Die künstlerische Programmatik dieser Strömungen verfolgt sie aber nicht direkt. Vielmehr interessiert sie sich für die Systeme, die das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Leben durchdringen: von der Architektur der Grosskonzerne über den Verkehr bis hin zur digitalen Infrastruktur und zur Macht der Medien – und wie sich diese Systeme in unterschiedlichen Städten und kulturellen Kontexten manifestieren. Die abstrakten, aber oft von spezifischen Orten oder Firmen angeregten Gemälde von Morris verweisen auf das Spiel der Oberflächen im globalen Kapitalismus und zitieren daraus. Wir erkennen Ausschnitte von Gebäuden, Strukturen und Infrastrukturen, aber im weiteren Sinne geht es um Macht. Und da die Gemälde natürlich im globalen Kunstmarkt zirkulieren, fügen Sie sich nahtlos in die Systeme der Produktion und des Konsums ein – und das ganz bewusst.

    Morris bezeichnete ihre Filme einst als «Index aller möglichen Gemälde, die ich hätte machen können oder noch machen könnte»[i]. Gemälde und Filme leiten sich hier also voneinander ab, beziehen sich aufeinander, agieren als Index, Zitat, Verweis auf ein grösseres Ganzes – und stehen in der Hinsicht nicht nur im Erbe der Moderne, sondern auch der Postmoderne, die das Zitat zur höchsten Kunstform erhoben hat. Im Werk von Sarah Morris lässt sich auch ein gewisser Einfluss der kritischen Theorie erkennen, die besonders im anglo-amerikanischen Kontext, wo Morris studiert und sich künstlerisch etabliert hat, zum festen Repertoire der Kunstausbildung gehört. Sie beschäftigt sich mit den unsichtbaren Machtverhältnissen im Spätkapitalismus und verfolgt das Ziel, unsere Augen für alltägliche und strukturelle Formen von Macht und Kontrolle zu öffnen und so die vermeintliche «Normalität» als herrschendes System zu dekonstruieren – also gewissermassen dem freundlich-farbigen Spektakel der globalisierten Marktwirtschaft die Maske vom Gesicht zu reissen. Diese Idee findet sich, durchaus auch mit ironischen Untertönen, in Morris’ Werken.

    Die Werke von Sarah Morris sind immersive ästhetische Erlebnisse, in denen sich Bild und Ton, Malerei und Film, Populär- und Hochkultur, Moderne und Gegenwart gegenseitig in Bewegung versetzen. Morris beschränkt sich mit ihrer Kunst übrigens nicht nur auf den bisweilen «bequemen» Platz im Museum: Sie tritt weltweit auch in öffentlichen Räumen und an Gebäuden in Erscheinung, mit Vorliebe in Zentren wie New York oder London, «in the belly of the beast», wie Sarah Morris gerne sagt.[ii] Der Titel der Ausstellung All Systems Fail – die erste umfangreiche Retrospektive von Sarah Morris in Europa, die ab Ende März im Zentrum Paul Klee zu sehen ist – blickt auf das Schaffen von Sarah Morris der letzten 30 Jahre zurück und macht insbesondere die dynamischen Bezüge zwischen Film und Malerei sichtbar. Der Titel scheint den momentan weit verbreiteten Kultur- und Fortschrittspessimismus, das Versagen politischer und gesellschaftlicher Strukturen und die grassierenden Zukunftsängste aufzugreifen. Die Ausstellung zeigt aber auch, wie es Sarah Morris als Künstlerin gelingt, intelligent auf eine Gegenwart voller Spannungen zu reagieren – und sichtbar zu machen, wie sie, als global agierende Künstlerin, nicht selten Teil derselben Systeme ist, die sie in ihren Gemälden und Filmen thematisiert. 
     

    [i] Sarah Morris im Gespräch mit David Daniel, abgedruckt im Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Zürich, 2000, S. 65.

    [ii] Vgl. Bettina Funcke und Sarah Morris, “From the Lion’s Den to the Belly of the Beast: Sarah Morris, 1995–2022” im Ausstellungskatalog All Systems Fail (Berlin: Hatje Cantz, 2023), S. 118.


    Beitrag aus KunstEinsicht 1/2024. Das gemeinsame Magazin von Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee wird in den beiden Häusern aufgelegt und ist in der Jahresmitgliedschaft des Freundeskreis Zentrum Paul Klee enthalten.

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